Katja Raiher und Ali Khademolhosseini von der Grünen Jugend: Veränderung der jungen Generation aufschultern?

Datum: 20.12.2021

Interview mit Katja Raiher und Ali Khademolhosseini, Delegierte der europäischen und globalen Grünen Jugend auf der Weltklimakonferenz in Glasgow

miterago: Frau Raiher, Herr Khademolhosseini, Sie sind als junge politisch Aktive hier auf der Weltklimakonferenz in Glasgow und vertreten als Beobachter die Federation of Young European Greens (FYEG) und die Global Young Greens (GYG). Können Sie uns die Jugendorganisationen bitte kurz vorstellen?

Katja Raiher: FYEG - das ist ein Zusammenschluss der Grünen Jugenden in europäischen Ländern, aber auch Staaten wie Norwegen oder die Türkei sind vertreten. Damit sind wir auch die offizielle Jugendorganisation der Europäischen Grünen Partei (EGP). Auf der COP repräsentieren wir junge Menschen und Klimaaktivisten, die ambitionierte Maßnahmen, sowie Klimagerechtigkeit fordern.

Ali Khademolhosseini: GYG ist der globale Dachverband von 94 Jugendorganisationen weltweit, mit dem sich junge Grüne identifizieren. Unser Ziel ist, Aktivist:innen in strukturschwachen Regionen zu fördern und gleichzeitig eine globale Zusammenarbeit zu ermöglichen.

miterago: Fachwissen und wissenschaftlichen Expertise, z.B. von den Beiräten der Bundesregierung wie dem Rat für Nachhaltige Entwicklung oder dem Beirat für Globale Umweltfragen hatten leider viel zu wenig Einfluss auf politische Entscheidungen. Erst die junge Generation, die ihr Wissen und ihre Sorge um die Folgen des Klimawandels auf die Straße gebracht hat, scheint die Politik wachzurütteln. Werden aus Ihrer Sicht die Stimmen der Jugend auf dieser Konferenz ausreichend gehört?

Katja Raiher: Es werden vor allem die Falschen zu viel gehört. FYEG hat mit seiner diesjährigen Kampagne "Polluters Out - People In" den überbordenden fossilen Lobbyismus auf der COP adressiert. Auf der Konferenz waren mehr als 500 Vertreter der fossilen Industrie anwesend. Zum Vergleich: Das ist zehnmal so viel, wie der Inselstaat Haitii entsendet hat, eines der am stärksten betroffenen Länder der Klimakrise. Das ist einfach verrückt („biggest-attendee-at-cop-26-is-fossil-fuel-lobby“).

Als junger Mensch hat man die Möglichkeit sich bei YOUNGO zu engagieren, der Jugendabteilung der UN. Hat man während einer Verhandlung den Status eines offiziellen YOUNGO-Vertreters, so kann man sich zu Wort melden und versuchen direkt Einfluss auf den Vertragstext zu nehmen. So konnte YOUNGO dieses Jahr beispielsweise Akzente bei der Ausgestaltung des Emissionshandels (ETS) setzen. Die größte Hürde für junge Menschen: Es bedarf wochen- wenn nicht monatelanger Vorbereitung, um sich mit einem Verhandlungsthema vertraut zu machen. Die Formulierungen sowie der Inhalt sind meist sehr komplex. Selbst Delegierte einzelner kleiner Staaten hadern stark mit der juristischen Sprache.

Ali Khademolhosseini: Also kurzum, nein, die Stimme der Jugend wird nicht gehört. Es ist auch anscheinend nicht wirklich vorgesehen, dass sie gehört wird. Das merkt man an der Organisation und den Beteiligungsmöglichkeiten für Beobachter:innen, im besonderen für die jungen Beobachter:innen. Was vor allem gefehlt hat, war die Stimme von denjenigen, die am meisten von der Klimawandel betroffen sind. Katja hat das ja bereits sehr gut zusammengefasst.

miterago: "The world is looking to you, COP26" ist auf großen Leuchttafeln überall in Glasgow zu lesen. Und die großen Augen über diesem Satz "Die Welt schaut auf Euch, COP26" fixieren den Betrachter, machen die Erwartungshaltung deutlicht und richtet sich an die Konferenzteilnehmer:innen, endlich Fortschritte zu erzielen. Verstehen Sie sich mit Ihrem Beobachterstatus als Teil dieser fordernden Welt? Konnten Sie als junge Generation den Erwartungsdruck von Draußen in diese Räume bringen?

Katja Raiher: Die Welt außerhalb und innerhalb der Konferenzräume sind komplett verschieden. Es ist irgendwo auch einfacher draußen zu sein. Auf einer Demo kann ich laut mitrufen: „What do we want? Climate Justice!“. Alle sprechen mit geeinter Stimme. Auf dem Konferenzgelände ist man alleine oder mit einer kleineren Gruppe und versucht gezielt einzelne Politiker:innen oder Pressevertreter:innen zu finden, denen man ein, zwei ganz konkrete Forderungen vorstellen kann. Wenn sie genug Zeit für einen finden.

Ein Lichtblick auf der COP26: Man konnte kleinere Protestformen, wie Kundgebungen, an bestimmten Orten auf dem Gelände anmelden und durchführen. Es ist zwar stark reglementiert, zum Beispiel darf sich die Aktion nicht explizit gegen eines oder mehrere Länder richten, ermöglicht aber etwas vom Draußen nach Innen zu holen. Leider musste ich für eine der Aktionen mein großes Demoschild mit unserem Kampagnenslogan bei der Security abgeben, ich habe es nicht mehr wiedergesehen.

Ali Khademolhosseini: Der Beschreibung von Katja kann ich mich nur anschließen. Die Organisatoren der COP und UNFCCC versuchen zwar durch Beobachter:innen die Verhandlungen mehr zu legitimieren, allerdings alles, was versucht wurde, ist nichts anderes als Scheinpolitik. Es gibt sehr viel Gerede, aber keine Zeichen von wirklicher Beteiligung. Es ist bedauerlich, wie bei der Planung die Beobachter:innen nicht genügend berücksichtigt wurden.

miterago: Schauen wir also auf den Wandel im Kleinen, der bei mir und in meinem nahen Umfeld, in meiner Gemeinde beginnt. Gerade im kommunalen Bereich ist die junge Generation bisher auch viel zu wenig wahrgenommen worden. Ändert dies sich endlich?

Katja Raiher: Leider ändert es sich, könnte man sagen. Die junge Generation vertraut nicht mehr darauf, dass die Älteren es schon richten werden; sie muss selbst ranklotzen, um Ergebnisse zu sehen. Das war auch mein Grund für den Stadtrat in Lüneburg zu kandidieren. Gerne würde ich meine Freizeit mit Freunden oder Sport verbringen, stattdessen werde ich demnächst über Bebauungsplänen und Flächenkatastern brüten. Ähnlich ist es, wenn Ältere das Engagement von Kindern und Jugendlichen loben, die Freitags demonstrieren gehen. Es ist nicht die Aufgabe von 14-Jährigen sich mit Lösungsansätzen für die Klimakrise zu befassen - sie tun es, weil sie Angst haben, es kümmere sich sonst niemand darum.

Gleichzeitig ist es natürlich eine Chance seine Stadt mitgestalten zu können. Ich kann beeinflussen, dass Parkplätze zu Parkanlagen oder Auto- zu Fahrradstraßen umgewandelt werden. Das gibt einem das schöne Gefühl, reale Verbesserung bewirken zu können.

Und es stimmt nicht, dass junge Menschen sich nicht engagieren. Sie tun es in anderen Formaten, in Sportvereinen, diversen Jugendorganisationen oder Bürgerinitiativen. Den allermeisten liegt es am Herzen, der Gesellschaft etwas Gutes zurückzugeben. Bloß, ob ihre Ideen und Anliegen von der Lokalpolitik gehört und ernstgenommen werden, das ist eine andere Frage. Auch das möchte ich im Stadtrat langfristig vorantreiben.

miterago: Es sind ausreichend Lösungsansätze vorhanden, dem Klimawandel zu begegnen. Ist die junge Generation mit ihrer Bereitschaft und Kompetenz sich schnell und international zu vernetzen nicht geradezu prädestiniert, erfolgreiche Lösungsbeispiele zu verbreiten?

Ali Khademolhosseini: Klimaaktivist:innen weltweit fordern, was Wissenschaftler:innen fordern. Und was wir sagen ist klar: hört auf Wissenschaft, unser Zukunft ist gefährdet! Ich verstehe unsere Rolle als Botschafter:innen der Krise und nicht als diejenigen, die sie lösen müssen. Am Ende können wir es auch nicht, weil wir kein Mandat dafür haben, wir können nur diejenigen, die es schaffen können, unter Druck setzen.

Katja Raiher: Aus Erfahrung paneuropäischer Zusammenarbeit kann ich sagen, dass es oftmals schwierig ist, junge Menschen international auf einen Nenner zu bringen. Ja, es können sich alle auf die grundlegenden Ziele einigen, aber bei den Details wird es schwierig. Ein gutes Beispiel dafür ist die Atomkraft. Auf der COP hatte ich ein intensives Gespräch mit einer jungen Polin, die leidenschaftlich für den Ausbau von Atomkraftwerken plädiert hat, ich natürlich kritisch dagegen. Meiner Meinung nach bräuchte es viel stärkere institutionelle Kooperation innerhalb Europas, beispielsweise bei großen Medienhäusern, um Konsens über Ländergrenzen hinweg zu finden.

miterago: Sie möchten, dass Medien ihre eigene Rolle als Wissensvermittler, Aufklärer und Moderatoren verstärkt wahrnehmen? Ist die gewünschte Kooperation so zu verstehen?

Katja Raiher: Es fehlt den Europäer:innen an einer gemeinsamen Identität; Medien können dabei helfen, eine paneuropäische Identität zu formen. Erstens würde es den nationalen Fokus aufbrechen, man nimmt ja sonst oft das eigene Land als den Nabel der Welt war. Außerdem könnte verstärkt auf die europäische Ebene geguckt werden, z.B. welche wichtigen Abstimmungen gerade im EU-Parlament laufen, was im nationalen Rundfunk kaum thematisiert wird. Ich glaube, wir müssen uns zunehmend als Bürger:innen Europas verstehen, denn die wichtigsten politischen Entscheidungen werden bereits heute in Brüssel und Straßburg getroffen. Sender wie euronews oder die Deutsche Welle machen da schon gute Arbeit, diese muss aber weiter ausgebaut werden.

miterago: Vielen Dank für das Gespräch und eine großer Dank an die junge Generation für Ihr Engagement. Es bestätigt und motiviert die vielen, die sich schon heute für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit einsetzen.

Katja Raiher: Vielen Dank auch von meiner Seite! Zum Abschluss noch zwei Zeilen aus dem Lied „Fenster“ der Band Kraftklub, die mir helfen motiviert zu bleiben: „Was sagst du wenn dich deine Kinder einmal fragen: Was hast du zur Lösung der Probleme beigetragen?“

Ali Khademolhosseini: Vielen Dank auch meinerseits! Hoffentlich werden wir bald statt Empörung und Demut, Stolz erleben, wenn die Entscheidungsträger:innen endlich zu Sinnen und zu Bewusstsein gekommen sind.