Mein Quartier - mein Baum
"Mein Freund, der Baum", legendär besungen von Alexandra in den 1960ern, musste einem Neubau weichen. Der Song endet zwar mit der Hoffnung auf einen Neuaustrieb, aber auch mit der Gewissheit "Er wird nie mehr derselbe sein". Nun, zwei Generationen später, ist es noch dringlicher, das Leben der alten und zusätzlich neuer Bäume zwischen unseren Häusern als für uns wertvoll zu verinnerlichen und zu bewahren.
Ein Baum, ob in der Stadt oder auf dem Dorf, bringt uns Lebensqualität. Er ist Straßenbegleiter und Blickfang, spendet Sauerstoff und Schatten, vermindert den Schall, den Staub, bremst den Starkregen, ist CO2-Schlucker, Sichtschützer, Luftfilter, Verdunstungskühler, Duftspender, Farbgeber. Bäume sind ein Teil unseres Lebensraumes, für viele Arten der Lebensraum selbst.
Ja, manche sagen auch, Bäume brächten „Dreck“, wenn Pollen, Laub und Samen „herumfliegen“. Es überwiegt aber so viel Positives, dass die meisten Kommunen dies mit einer Baumschutzsatzung unterstreichen. Die Werte eines einzelnen Baumes für seine Umgebung offenbaren sich besonders, wenn der Baum - aus welchen Gründen auch immer - gefällt wird und unwiederbringlich verschwindet. Soweit darf es nicht kommen. Schließlich sind etwa 400 Neupflanzungen erforderlich, um einen alten Stadtbaum zu ersetzen, so die Baumsachverständige Daniela Antoni im Deutschlandfunk Nova

Bäume erhalten, weißblütige Rosskastanien zum Beispiel
Alte weißblütige Rosskastanien sind stattlich, sie prägen Plätze und Straßenzüge, sind prächtig mit ihren Blüten im Frühling, mit reichlich Schatten und Kühle im Sommer, mit glänzenden Früchten im Herbst. Aber leider sehen sie oft schon im Hochsommer kränklich aus. Das Laub zeigt braune, abgestorbene Flecken, ist zusammengerollt und wird frühzeitig abgeworfen. Normalerweise wären die Blätter noch bis in den Oktober hinein satt grün, der Baum hätte noch Zeit für Photosynthese und Vorbereitung auf den Winter. So aber gibt es keine Vollendung des herbstlichen Zyklus mit bunter Laubfärbung und Rückverlagerung von Reservestoffen in den Stamm.

Schuld an diesem Abbruch sind winzige Raupen. Sie haben zahlreiche Gänge zwischen Blattober- und Blattunterseiten gefressen und kaum ein Blatt am Baum ausgelassen. Dieses Gängefressen, das als Minierfraß bezeichnet wird, gibt dem verursachenden Falter den Namen: Rosskastanien-Miniermotte. Zwar schaffen es die meisten Bäume im kommenden Jahr wieder auszutreiben, aber wie lange noch, wenn sich der Befall Jahr für Jahr wiederholt? Durch Trockenheit, Hitze und Versiegelung des Bodens haben sie oft schon genug Stress. Daher auf zur Rettung! Was sonst zum Schutz des Bodens und der Tierwelt unterbleiben sollte, ist nun ausdrücklich erwünscht: Laub fegen, harken, zusammenkehren und abtransportieren. Im Laub überwintern nämlich die Puppen der Miniermotte. Aus ihnen schlüpft im nächsten Frühjahr die neue Generation an Faltern und will Eier an frisch ausgetriebene Kastanienblätter ablegen. Die aus den Eiern geschlüpften Larven zerfressen erneut die Blätter. Der Zyklus kann durchbrochen werden, wenn das Winterquartier aufgeräumt und das Laub kommunal verbrannt oder bei hohen Temperaturen kompostiert wird. Über den Ablauf informiert der kommunale Entsorger.

Der Erfolg zeigt sich vermutlich erst nach einigen Wiederholungen, also der Ausdauer über einige Jahre hinweg. Mit dem Aufhängen Meisennistkästen im Frühjahr geht es eventuell schneller. Lockstofffallen dienen nur dem Nachweis der Motte und der Befallsstärke. Weitere Infos zum Thema gibt es beim NABU oder bei Native Plants.
Rosskastanien liefern einen guten Einstieg für gemeinsame Aktionen, ist ein Betätigungsfeld auch für diejenigen, die im Herbst gern „aufräumen“ und das Laub wegmachen…
Bäume gießen, auch die großen
Wie schön ist es, wenn uns große Bäume an heißen Tagen kühlen Schatten spenden. Durch die Verdunstung über das Blattwerk sinkt zusätzlich die Umgebungstemperatur. Bäume am Seeufer haben das Glück, regelmäßig über genug Wasser zu verfügen. Fern von Gewässern sieht dies ganz anders aus und selbst große, alte Bäume geraten in Trockenstress, denn auch in tieferen Bodenschichten herrscht nach den letzten trockenen Jahren immer noch Dürre.

Diese Bäume freuen sich über Wassergaben von 50 Litern und mehr je nach Baumgröße. Durch eine sehr große Wassergabe einmal pro Woche kann das Wasser tief in den Unterboden eindringen und das Wurzelwachstum sich dahin orientieren. Der BUND Niedersachsen hat viel Wissenswertes und Hilfreiches dazu zusammengestellt.
Junge Bäume brauchen stetige Wassergaben, weil ihr Wurzelsystem noch nicht besonders tief reicht. Sie sollen gut anwachsen und sich standfest entfalten können. Manche Gemeinden setzten Gießsäcke ein, aus denen das Wasser langsam auf die Baumscheibe, den Boden rund um den Baumstamm sickert und das Wurzelwerk versorgt. Gelegentlich sind hochgezogene Säcke zu sehen, denn ein Baumstämmchen muss auch einmal abtrocknen können, um der Schimmelbildung vorzubeugen. Die Gemeinde Velten in Brandenburg beschreibt ihre Erfahrungen und lädt ein, auch die gute, alte Gießkanne einzusetzen.
Also warten wir nicht, bis die Bäume schon trockene Triebspitzen zeigen oder gar vorzeitig die Früchte und Blätter abwerfen. Schon im trockenen Frühjahr ist es höchste Zeit zu gießen und Bäume lebendig zu halten. Vielleicht auch in einer mit der Nachbarschaft und der Stadt organisierten Gießpatenschaft? Das Open Source-Projekt Gieß den Kitz hilft bei der Durchführung. Was wir den Bäumen an Wasser geben, erhalten wir in Form zahlreicher Dienste zurück. Die ZDF-Sendereihe „planet e“ beleuchtet dies in ihrem Beitrag vom 9. Juli 2023 „Stadtbäume im Stress“. Den direkten Link zur Sendung gibt es in unserer Mediathek in der Rubrik "Stadt".
Neue Bäume
Ein Bäumchen pflanzen zur Geburt, zur Hochzeit, eine Baumpflanzaktion im neuen Kindergarten oder ein Tiny Forest nach der
Miyawaki-Methode
auf dem Firmengelände: Anlässe Bäume zu pflanzen sind zahlreich, immer verbunden mit dem schönen Gedanken, etwas langfristig Gutes auf den Weg zu bringen, das wachsen und gedeihen möge.
Und viele neue Bäumchen, die zu großen Stadtbäumen oder zu einem kleinen Wäldchen heranwachsen mögen, brauchen wir. Sie müssen nicht nur den Verlust ersetzen, wenn z.B. ein alter Baum erkrankt und gefällt werden muss. Sie sollen das gesamte Grün in den Kommunen und in den Randgebieten mehren mit all dem Nutzen für die nahe Umgebung. Klimaschutz und Klimaanpassung sind starke Motive, die Städte, Gemeinden, Vereine, Firmen oder Privatpersonen dazu bewegen, Bäume zu pflanzen. Längst gibt es Dienstleistungsunternehmen und baumpflanzende Initiativen, die Pflanzaktionen planen, organisieren und durchführen. Sie kümmern sich um den Pflanzort, z. B. im Stadtwald, um alle administrativen Anforderungen und Genehmigungen, treffen die richtige Auswahl der Pflanzen und haben bei der Pflanzaktion selbst alles im Blick.

Viele städtische Grünämter sehen sich in der Pflicht, pflanzen neue Bäume und zeigen dies in einer Übersicht, wie die Stadt Leipzig. Andere Gemeinden bieten ihrer Einwohnerschaft die aktive Beteiligung an. Da gibt es die Möglichkeit der Spende, welche die Stadt für eine Baumpflanzung dann aufstockt, so z. B. in Berlin oder Hamburg samt Namensnennung, wenn dies gewünscht ist. Andere Kommunen wie z. B. die Kleinstadt Beelitz finanzieren die Baumsetzlinge und geben das Pflanzen und Pflegen in die Hand ihrer Bürgerschaft. Einen besonderen Gewinn können gemeinsame Pflanzaktionen bringen: Die Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel verbindet alle Beteiligten miteinander und welche Aktion wäre wohl besser geeignet, die Einwohnerschaft in der Gemeinde - im wahrsten Wortsinn - zu verwurzeln? Der Hochzeitswald von Vechta oder die Baumpflanzaktionen am Familienbad Fellbach sind nur zwei Beispiele von vielen.
Ganz ohne unser Dazutun schlagen Birken, Eicheln, Kastanien oder Ahorn ihre Wurzeln in verfügbaren Untergrund, gelegentlich an ganz ungewöhnlichen Orten wie z. B. in Dachrinnen oder dort, wo für Anpflanzungen nur mit größter Mühe ein Pflanzloch auszuheben wäre, z. B. auf historischen Trümmerwällen. Diese Jungspunde wohlwollend gewähren zu lassen, diesem Nachwuchs Raum zu geben, wo immer es möglich ist, ist der einfachste, billigste und natürlichste Weg für mehr neue Bäume im Quartier.